Miserikordias Domini

Die Predigt können auch hier als PDF herunterladen oder anhören:

Graffiti im Turmdurchgang Kreuzkirche, Schulprojekt von Josepha, 15 Jahre

Würden wir in „normalen Zeiten“ leben, würden wir heute Konfirmation in der Kreuzkirche feiern. Doch so feiern wir heute gar nichts: Kein Gottesdienst, jedenfalls nicht gemeinsam in der Kirche, und auch kein Familienfest.

So sind die Gegebenheiten. Wir können es nicht ändern. Der Schutz von Gesundheit und Leben hat absoluten Vorrang. Um die Seelen der Menschen, um ihr geistliches Wohl kümmern wir uns dieser Tage anders.

Bald werden wir voraussichtlich auch wieder Gottesdienste feiern. Anders als je zuvor: mit großem Abstand in den Bänken sitzend, ohne Gesang und Gesangbuch, stattdessen mit Mundschutz, ohne Berührungen: kein Handschlag, keine Umarmung, kein Segen mit Handauflegung, kein Abendmahl. Das hört sich traurig an.

Dennoch: wir werden uns wiedersehen, wir können wieder miteinander sprechen und das ohne technische Hilfsmittel wie Laptop, Telefon oder Handy. Die äußere Distanz muss beibehalten werden; die innere Verbundenheit hat sich zwischen vielen Gemeindegliedern in den zurückliegenden Wochen aber verstärkt.

Ende August können wir dann hoffentlich die Konfirmation feiern: Vermutlich in kleinem Rahmen, verteilt in unserer großen Kirche – wie genau werden die Erfahrungen der nächsten Wochen zeigen.

Heute ist der Sonntag Miserikordias Domini.
An diesem Sonntag dreht sich alles um das Bild von Gott als dem guten Hirten. Ein traditionelles Bild. Weit von unserer Lebenswirklichkeit in der Stadt entfernt. Dabei sehen wir im Frühjahr doch ab und an eine Schafherde mit ihrem Hirten. So gerade in dieser Woche in der Karlsaue mit vielen kleinen Lämmchen.
Der Schutz, den eine Schafherde durch ihren Hirten etwa vor reißenden Wölfen braucht, wird ja wieder aktueller in Europa.

In der Bibel und in der christlichen Tradition ist der Gute Hirte eines der bekanntesten Gottesbilder. In der bildenden Kunst ein häufiges Motiv: Jesus mit einem Lamm im Arm oder auf den Schultern.

Der Beter des 23. Psalms fasst seine Gotteserfahrung in die berühmten Worte: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln … Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir…

Er hat vor rund 2500 Jahren erfahren, dass nicht immer alles glatt läuft im Leben, dass ihm Gefahren begegnen und er auch finstere, tiefe und gefährliche Täler durchwandern muss. Er hat erlebt, dass er sich trotz Bedrohungen nicht unnötig fürchten muss, denn Gott, der gute Hirte ist bei ihm und hilft ihm weiter. An dem, was er zum Leben wirklich braucht, wird es nicht mangeln. Das ist seine Erfahrung und das ist seine Zuversicht. So kann er durch alle Zeiten gehen.

Immer wieder haben Menschen die Begleitung Gottes in schweren Zeiten erfahren. Darum gehört der 23. Psalm zu den fundamentalen Bibelstellen, die Christ*innen auswendig gelernt haben und noch lernen: Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Nichts und niemand kann ihn von Gott trennen. Das gilt auch uns.

Ein modernes Bild vom guten Hirten befindet sich seit ein paar Wochen als Graffiti im Turmdurchgang der Kreuzkirche.
Mitten im Chaos der Schmierereien ein neues Bild. Josepha hat es gemacht. Mich berührt es jedes Mal, wenn ich dort vorbeikomme oder am Abend, von der Murhardstraße her darauf zugehe und es im Licht der Laterne leuchtet.

Ein Kind, barfuß, strahlend, in den Armen die Weltkugel. Es hält sie vorsichtig vor sich und doch sicher, sie bergend. Es hält sie lieb. Ein schönes Wort „Liebhalten“. Lange vergessen. Es fällt mir ein, wenn ich das Kind mit dem Erdball in den Armen sehe.

„Kannst du mich mal liebhalten?“ haben wir als Kinder gefragt, wenn uns ein unbestimmter Kummer drückte.

Und genauso wie auf dem Bild wollte ich dann in den Arm genommen werden: Sicher und warm, fest und nicht erdrückend. Dann war zumindest für kurze Zeit alles Elend vergessen. Die persönliche Erlebniswelt wurde klein und warm. Außer Mama oder Papa und mir gab es nichts. Nichts konnte gefährlich werden und alles Leid verschwand einfach so durchs Liebhalten, durchs Geliebtwerden.

So ist es auch mit Gott, mit dem guten Hirten, mit dem Kind mit Weltkugel. In der warmen Umarmung verschwindet das Leid. Das Chaos der Welt, das durch das Weiß des Hintergrunds zu erahnen ist, das um das Motiv herum noch tobt, es kann der Welt nichts anhaben. Es ist zwar weiterhin noch da. Doch das Leben und das Schöne, die Hoffnung ist stärker. Das Kind strahlt Freude und Zuversicht und Sicherheit aus. Die Schmetterlinge zeigen: Das Leben siegt. An die Coronakrise hat noch niemand gedacht als das Bild entstand.

Der erste Gottesdienst, der ausfallen musste war der Vorstellungsgottesdienst der gemeinsamen Konfirmandengruppe von Friedenskirche und Kreuzkirche. Er war gut vorbereitet und geprobt. Alles war fertig. Unsere Konfis haben sich mit der Klimakrise beschäftigt, mit Greta Thunberg, Fridays for future und der Sintflutgeschichte.

Kinder retten die Welt. Deutlicher als viele Erwachsene haben sie erkannt, dass wir in unseren Gesellschaften nicht einfach so weitermachen können. Unsere Erde und damit die Zukunft unserer Kinder ist besonders durch die Klimaerwärmung bedroht. Es passiert einfach viel zu wenig um die Katastrophe zu verhindern.

Kinder retten die Welt. Das meine ich ernst. Wie gut, dass die Kinder aufstehen und ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen. Wie gut, dass sie unsere Vorbilder sein wollen, uns zeigen wie es gehen kann. Und dabei sind viele von ihnen wirkliche Experten geworden.

Jesus hält viel von Kindern: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen“ hat er an einer Stelle gesagt (Matthäus 18, 3).

Gott ist ein lebendiger Gott, er wendet sich den Menschen n und der Zukunft zu, er ist der gute Hirte, der die beschützt, die ihm anvertraut sind, er ist das Mädchen, das die Welt liebhält, er ist an unserer Seite im finsteren Tal genauso wie im Chaos, das um uns herum tobt. Wir dürfen Vertrauen fassen in allem Zweifel, in allen Sorgen.

Ich bin hoffnungsvoll: Wir werden noch Konfirmation feiern!

Bleiben Sie behütet und zuversichtlich! Amen.

Pfarrerin Cornelia Risch, Kreuzkirche